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Gesunde Zukunft | NEWS

16.04.15|Lausitz|Wolf reißt Schafe mitten im Dorf

veröffentlicht am: 16-04-2015
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Wolf reißt Schafe mitten im Dorf

In Trebus bei Rietschen sterben in einer Nacht vier Schafe. Keiner hat was mitbekommen. Das schockiert die Betroffenen. Und es gibt neue Fragen.

Von Wulf Stibenz


Manchmal will das Leben einem offenbar die Beine wegreißen. Da kommt alles zusammen. Daniel Lambio hat so einen Tag hinter sich. Es ist ein Frühlingsmontag. Er hat das Frühstück für die Kinder vorbereitet. Das Töchterchen muss in die Grundschule. Der Sohnemann kann wegen eines Schnupfens nicht in die Kita. An diesem Tag gibt es auch keine Arbeitsteilung wie sonst – denn Daniel Lambios bessere Hälfte, Kathleen Melzer, ist im Krankenhaus. Der jüngste Spross der jungen Familie hat dort einige Tage zuvor das Licht der Welt erblickt. Dass dieser Tag in Trebus bei Rietschen ganz anders als gedacht verläuft, ahnt Daniel Lambio da noch nicht. Er will noch schnell die Ponys, Hasen, Hunde und Schafe füttern. Als er über die Terrasse in den Garten geht, blickt er auf ein zerfetztes Mutterschaf, nur wenige Meter vom Haus entfernt.

Zurück ins Haus. Die Tochter soll nicht sehen, dass im Garten Blut und Schafsinnereien rumliegen. Sie soll nicht hören, wie die Lämmer nach der Mutter schreien und verängstigt an der Terrasse stehen. Denn die Tochter hat zwei der Lämmer mit der Flasche aufgezogen. Sie ist klug und sensibel. „Sie sollte so etwas nicht sehen müssen“, sagt Daniel Lambio später. Er telefoniert mit seiner Frau, stimmt sich kurz ab und kümmert sich um die Kinder, als ob nichts passiert wäre. Als die Tochter auf dem Weg zur Schule ist und der Sohn drinnen spielt, geht der Vater wieder in den Garten. „Ich dachte sofort, dass das ein Wolf war“, sagt er. Die Bilanz der Nacht: Vier der acht Schafe sind noch da, den Ponys und Hasen geht es gut. Die Hunde sind über Nacht ohnehin im Haus gewesen.

 

Stromzaun liegt zerrissen da

Der Wolf holt sich in der Lausitz immer mal wieder Schafe. Seit fast 15 Jahren ist das so. Doch seit dieser Nacht ist in Trebus nichts mehr wie immer. Das tote Mutterschaf am Haus sieht übel zugerichtet aus. Daniel Lambio geht weiter. Der Stromzaun liegt zerknäult, verheddert und zum Teil zerrissen auf der Wiese. Hier haben gewaltige Kräfte gewirkt. Die drahtdurchsetzten Nylonschnüre sind für einen erwachsenen Mann nicht zu zerreißen. Weiter geht’s – und immer hinter ihm her, die vier verängstigten Schafe. Vier Schafe sind tot, darunter zwei Lämmer. Eines findet er am Winterstall. Ein Muttertier liegt hinter einem Hügel. Beide haben zerfetzte Kehlen.

Über den Wolf in der Nähe des Dorfes reden die Trebuser. Es hat Fährten gegeben, dann die Bestätigung durch das Wolfsbüro Lupus. Doch im Ort selbst ist der Wolf bislang nicht gesichtet worden. Trotzdem haben Eltern befürchtet, dass ihre Kinder beim Spielen nicht sicher seien. Aber es gibt auch Einwohner, die ruhig und gelassen sind. Kinder zusätzlich verängstigen, bringt nichts. Doch bis jetzt sind alle davon ausgegangen, dass der Wolf um das Dorf einen Bogen macht. Doch diesmal ist der Räuber offenbar mitten im Ort im Garten gewesen, hat Haustiere getötet und ein Lamm mitgenommen.

Dass das Raubtier Fleisch isst, bringt jemanden auf dem Land nicht aus der Ruhe. „Was mich erschreckt, ist der Fundort eines Mutterschafes“, sagt Daniel Lambio. Das Schlafzimmer liegt im Haus hintenraus. Nachts ist es im Dorf still. „Ich hätte doch was hören müssen. Noch dazu, weil es Bewegungsmelder gibt.“ Für die vielen Fragen nach so einem Vorfall gibt es in der Lausitz viele Experten. Jäger, Tierschützer, Biologen, Beauftragte des Landkreises. Das Kontaktbüro Wolfsregion Lausitz im nahen Rietschen wird an dem besonderen Montag von Daniel Lambio angerufen, weil auf der Homepage steht, dass dort vermeintliche oder tatsächliche Wolfsrisse gemeldet werden. Es ist ein kurzes Telefongespräch: Man schicke jemanden. In maximal zwei Stunden seien Experten in Trebus. Die Zeit ist Daniel Lambio wichtig, denn gegen 13 Uhr kommt die Tochter aus der Schule. Die soll das Unheil im Garten nicht sehen. Tatsächlich sind zwei Forstleute des Landkreises schnell vor Ort. Freundlich und professionell wirken sie. Katrin Lattermann und Holger Neef sind nicht nur für den Wald zuständig. Sie sind auch Jäger und haben die Qualifikation als Wolfsrissbegutachter. Das ist wichtig, weil es auch um Geld geht. Sachsen zahlt für amtlich bestätigte Wolfsrisse eine Entschädigung an die Tierhalter.

Bissspuren, Speichelprobe, Fährten, Umzäunung und andere Kriterien müssen für den Wolf sprechen und vom Tierhalter erfüllt sein, damit der Freistaat den finanziellen Verlust ausgleicht. Im Zweifelsfall gibt es Kulanzentscheidungen. Holger Neef begründet die genaue Untersuchung der Gutachter. „Wenn es Hunde waren, greift die Satzung nicht.“ Und auch beim Schutz der Schafe gucken die Experten genau hin. Ist der Zaun „wolfssicher“? Gibt es Lücken? Liegt beim Stromzaun genug Energie an? Sind bei einem Nicht-Stromzaun Höhe und Untergrabungsschutz gegeben? Die Experten in Trebus gehen routiniert vor, stellen Fragen an den Tierhalter – und vertrösten pflichtgemäß bei den Antworten auf die Ergebnisse der Untersuchung. Die gibt’s schriftlich. „Die Entschädigung ist für mich nicht das Wichtigste, ich will wissen, wie und warum das passiert ist“, sagt Kathleen Melzer. Sie sorgt sich – noch im Krankenhaus – um die seelische Verfassung ihrer Tochter. Die Fragen werden an diesem Vormittag immer mehr. Wer räumt die Kadaver auf? Wie erklärt man Kindern, Verwandten und Nachbarn was in der Nacht hier passiert ist?


Auf viele Fragen keine Antwort

Die jungen Eltern ahnen zu diesem Zeitpunkt nicht, dass sie auf ihre Fragen kaum Antworten erhalten. Zwar kommt zur Untersuchung der toten Schafe sogar noch eine Tierärztin dazu – die nach dem Gesundheitszustand der Tiere auf dem Hof und der artgerechten Haltung sieht – aber auch sie beantwortet viele der Fragen nicht. Ihr Metier sind die Tiere, nicht die betroffenen Menschen. Auch sie ist routiniert: Schafe sterben eben im Wolfsgebiet, wenn sie nicht genug geschützt sind.

Als die Untersuchungen der Kadaver beendet sind, fragt Daniel Lambio noch mal nach, was mit den toten Schafen im Garten passiert. „Wir sind zur Untersuchung da, um die Entsorgung des Kadavers müssen sie sich kümmern“, sagt Katrin Lattermann. Das ist korrekt. Denn dafür müssen Tierhalter bei der Tierseuchenkasse angemeldet sein. Und die schickt ganz unkompliziert einen Kurier vorbei, der die Kadaver mitnimmt. Nicht so gut ist am Telefon nur die Nachricht, dass das zwei Tage dauern kann. Wohin also mit den erstarrten, hufebewehrten und halbzerlegten Tieren? Immer wieder schaut Daniel Lambio nach der Uhrzeit. 13 Uhr kommt die Tochter nach Hause. Bis dahin müssen die Überreste weg und der Garten aufgeräumt sein.

Die Experten versichern, dass sie bis Mittag ganz sicher hier weg sind. Alle bleiben freundlich – obwohl auch sie einen anderen Arbeitsplan an diesem Montag gehabt haben. Holger Neef ist gerade auf dem Rückweg von einer Beratung gewesen, als das Kontaktbüro ihn angefordert hat. Der Abstecher nach Trebus bedeutet für die Experten zwei Stunden Extra-Arbeit. Es ist einer von Hunderten Wolfsrissen im Jahr, die sie begutachten. Manchmal dringt bei der Kadaveruntersuchung von den Profis Gelächter bis zum Haus, wo Daniel Lambio aufräumt. Für ihn ist das verstörend, denn zum Lachen ist ihm nicht zumute. Aber die Gutachter reden über ganz andere Geschichten aus ihrem Leben. Die Untersuchung ist nicht Gegenstand der Runde. Auf die Frage, was nun passiert ist, erklärt Holger Neef eine mögliche Option: „Das Schaf wurde am Rücken gepackt, niedergerungen – und als es wieder aufstehen und flüchten will: der kraftvolle Kehlbiss.“ Diese Erklärung hilft den Laien etwas. Es ist zwar noch keine Basis für eine kindgerechte Erklärung der Vorfälle, aber die Deutung hilft dem Tierhalter, selbst zu verstehen. Die Ungewissheit schwindet, der Vorfall wird fassbar. Leicht zu verkraften ist das aber nicht: Offenbar ist eines der getöteten Tiere vom Wolf in Richtung Haus gezogen worden, um es dort zu fressen. Dann muss der Wolf gestört worden sein, denn das Schaf ist zwar aufgebrochen – aber fast vollständig.

Die junge Familie hat an diesem Tag auch Glück. Sie kennen einen, der sich beruflich mit Wölfen beschäftigt. Auch er ist gleich zum Trebuser Grundstück gekommen. Markus Bathens foliierter Geländewagen in der Einfahrt wirkt aber etwas unpassend. Auf ihm steht „Auf den Spuren der Wölfe“. Und die haben ihn nun hierher geführt. Er leitet das Projekt Willkommen Wolf des Naturschutzbundes. Auch er ist Jäger. Auch er kennt sich mit Fährten, Rissen und Fällen wie diesen aus. Der Unterschied zu den Gutachtern: Zu seinem Job gehört es, emotional auf die Betroffenen einzugehen. Das mag rationale Gründe haben, da Markus Bathen für die Akzeptanz des Wolfes arbeitet. Aber Daniel Lambio ist froh, den Wolfsschützer zu kennen.

Nachdem Tierärztin und Rissbegutachter ihre Untersuchungen abgeschlossen haben, werden die Kadaver in blaue Spezialsäcke verstaut und an den Straßenrand gestellt – für den Entsorgerkurier. Dann geht es ans Aufräumen: Das Blut verscharren, Schafskörperteile aufsammeln und den Elektrozaun reparieren. „Ich würde die Schafe in den nächsten Tagen über Nacht einsperren, der Wolf kann durchaus noch mal auf einem Kontrollgang vorbeikommen“, sagt Markus Bathen. Auch daran hat Daniel Lambio schon gedacht – und es sorgt ihn auch etwas. Deshalb wird im Garten eine Wildkamera aufgehängt. Nach zwei Wochen beweist sie: Der Wolf ist seitdem nicht mehr da gewesen.

 

Keine Entschädigung vom Freistaat

Eine Entschädigung vom Freistaat Sachsen bekommt die Trebuser Familie nicht. Zwar ist der Stromzaun vorbildlich, aber er hat einen Schwachpunkt. Beim Nachbargrundstück befindet sich ein Komposthaufen direkt an der Grundstücksgrenze. Von dort ist – das hat die Suche nach den Fährten gezeigt – der Wolf in die abgezäunte Koppel gesprungen. Dann sind die Schafe wohl in Panik durchgegangen, haben den Zaun niedergerannt und die Stromversorgung unterbrochen. Der Zaun ist so kein Hindernis mehr für den Räuber gewesen.

Als die Tochter aus der Schule kommt, sieht es auf dem Hof fast so aus, wie vor dem Eindringen des Wolfes. Der Stromzaun steht wieder. Markus Bathen erklärt den Kindern, was passiert ist. Es ist keine rosarote Gute-Nacht-Geschichte. Aber der Vorfall wird kindgerecht erzählt. Markus Bathen erklärt der Tochter, dass der Wolf als Fleischfresser eben auch die Wolfsfamilie versorgt. Natürlich gibt es trotzdem Tränen. Es sind ja auch die zwei Flaschenlämmer weg. Die Kinder erfahren nicht, was auf dem Hof am Morgen zu sehen gewesen ist. Für sie sind die vier Schafe am Abend noch da gewesen – und am Tag danach nicht mehr. Und irgendwann ist auch beim Töchterchen der erste Schock überwunden.Es gibt ja an diesem Tag auch etwas Wundervolles: Der Großvater hat Kathleen Melzer aus dem Krankenhaus geholt – mitsamt dem neuen, kleinen, süßen und kerngesunden Familienmitglied. Leben und Tod liegen an diesem Montag eng beieinander.

Quelle:sz-online.de

Zuletzt geändert am: 16-04-2015 um 12:46

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