Auf der Route 1 kann man noch problemlos fahren, erzählt Joanna Witon von Boats&Friends. Das kleine Zgorzelecer Unternehmen bietet Schlauchboottouren auf der Neiße an. Route 1 beginnt auf der Höhe des Berzdorfer Sees und führt Richtung Altstadt. Bei Route 2 in Richtung Norden ist es schwieriger, sagt Joanna Witon. Dort ist das Wasser stellenweise zu flach.
Die Trockenheit hat nicht nur für einen niedrigen Neißepegel gesorgt, sondern auch für üppiges Grün im Fluss. „Kann man ja bald Rasen mähen“, scherzt ein Zgorzelecer auf Facebook. Voriges Jahr war es an der Altstadtbrücke die Wasserlinse, die sich zu grünen Teppichen breitgemacht hatte. Dieses Mal wachsen Gräser in dicken Büscheln aus dem Fluss. Die beschäftigen auch die Görlitzer Biologen wie Jörg Müller, Mitarbeiter bei Senckenberg: „Zwischen Altstadtbrücke und Stadtbrücke lassen sich derzeit so einige hygrophile Pflanzen entdecken.“ Er hat die Schwanenblume gesichtet, Schilf ist dabei, „weiter in Richtung des Uferparkes wächst auch wieder die Wasserlinse“, erzählt er. Bernhard Seifert, ebenfalls von Senckenberg, hat mindestens sechs Gefäßpflanzen gezählt. Verschiedene Schilfarten sind dabei, sagt auch Kurt Bernert vom Naturschutzverein Görlitzer BUND, und eine blaue Lilienart, „die ist sehr ungewöhnlich für Flüsse“, sagt Bernert.
Normal ist für die Görlitzer Neiße ein Wasserstand von ungefähr 177 Zentimetern, so die Daten des Landesamtes für Umwelt, Geologie und Landwirtschaft. Nun hing der Neißepegel seit Tagen bei 133 Zentimetern fest. Noch signifikanter sind die Daten, wie viel Wasser die Neiße transportiert. Normal sind im Görlitzer Messbereich des Landesamtes 17 Kubikmeter pro Sekunde. In den vergangenen Tagen waren es nur 3,17 Kubikmeter. Laut Prognose sollen Pegel und Durchlaufstärke jetzt in die Höhe gehen. Bis jetzt hat der Regen aber noch nicht viel verändert: Um einen Zentimeter ist der Wasserstand gestiegen, die Durchlaufgeschwindigkeit liegt aktuell bei 3,43 Kubikmetern pro Sekunde. Solche niedrigen Wasserstände führen insbesondere zu einer stärkeren Erwärmung des Wassers, erklärt Julia Bjar, Sprecherin des Landkreises. „Weiterhin werden Nährstoffeinträge beispielsweise aus Kläranlagen im Gewässer weniger verdünnt als bei größerem Wasserdurchfluss.“ Und eine solche Nährstoffanreicherung kann zu einem stärkeren Wachstum von Wasserpflanzen führen.
Optisch mag das Grün in der Neiße gar nicht so übel anmuten, ganz grundsätzlich gilt aber: Je niedriger die Wasserführung, desto ungünstiger stellen sich die Lebensbedingungen der dort vorkommenden Fische und Kleinlebewesen wie Insektenlarven dar, so Julia Bjar. Im Extremfall kann es zum Verlust von einzelnen Tieren bis hin zu Massensterben kommen. Für die Lausitzer Neiße sehen die Experten vom Kreis-Umweltamt diese Gefahr zum jetzigen Stand nicht. Noch gibt es günstigere Bereiche, in die sich die Fische und Kleinlebewesen zurückziehen können. Kurt Bernert vom BUND sieht aber noch eine andere Gefahr: Wenn fast Stillstand herrscht, gehe meist der Sauerstoffgehalt nach unten, der Phosphatgehalt nach oben, „und das ist sehr förderlich für Blaualgen.“ Im Moment kann das Landesamt für Geologie und Umwelt Entwarnung geben: Aktuell zeigt die Messstation in Görlitz beim Sauerstoffgehalt keine Auffälligkeiten an, er liegt bei acht bis zehn Milligramm pro Liter, erklärt Sprecherin Karin Bernhard. Die Wassertemperatur liegt bei 20 und 23 Grad.
Voriges Jahr hatte die Trockenheit noch ein ganz anderes Problem zum Vorschein gebracht: Müll. Die Wasserlinsen hatten allerlei Unrat wie auf Präsentiertellern an der Oberfläche festgehalten. Letztlich beseitigten die Görlitzer selbst den Müll und, soweit möglich, die Wasserlinsen. Das Netzwerk Motor Görlitz hatte zu einem Großeinsatz im November aufgerufen. Diesmal ist noch keine Aktion geplant, um die Wasserpflanzen zu entfernen, erzählt Mike Altmann, Sprecher von Motor Görlitz. Aufgefallen ist das üppige Grün ihm natürlich. „Wir beobachten das jetzt erst einmal.“ Solch eine Aktion mache innerhalb einer Trockenphase nicht so viel Sinn, denn dann würde der Bewuchs innerhalb kürzester Zeit zurückkommen, erklärt Altmann. Die Neiße-Aktion voriges Jahr habe Motor Görlitz auch deshalb gestartet, weil sich bei der Müllfrage keines der Ämter so recht zuständig sah, verschiedene Stellen spielten sich den Ball zu, keiner wollte ihn so recht behalten.
Geht es um die Frage, ob so viel Pflanzenmaterial bei einem Hochwasser gefährlich werden könnte, ist die Landestalsperrenverwaltung (LTV) für die Neiße zuständig, erklären Kreis wie auch Landesamt. Es gab im Frühjahr die Gewässerschau, an der die Untere Wasserbehörde des Kreises, die LTV und Vertreter der Stadt teilnahmen, so Julia Bjar. „Der Schilfbewuchs führte hier bisher nicht zu Beanstandungen.“ Im Hochwasserfall legen sich Gräser um und führen nicht zwangsläufig zu einer verschlechterten Abflusssituation, erklärt sie weiter. „Aufgrund längerer Niedrigwassersituationen können sich allerdings auch vermehrt größere Schilfbestände ausbilden.“ Ob die zu Beeinträchtigungen führen können, müssen die LTV und die Untere Wasserbehörde beobachten.
Derweil hat der niedrige Wasserstand auch sein Gutes. Man braucht beim Paddeln nicht allzu viel Kraft. Boote ausleihen kann man auch bei Jörg Daubner von der Obermühle. Dort, an einer Stelle beim Viadukt, ist es nicht immer so leicht, weiterzukommen per Boot. Wenn durch Schneeschmelze oder andere Gründe höhere Wasserstände herrschen, braucht man an der Stelle etwas mehr Kraft. Im Moment ist das nicht so. „Vom Bewuchs ist bei uns wenig zu merken“, sagt Jörg Daubner. Aber über das Wehr an der Obermühle fließe derzeit kaum Wasser. „Bewusst erlebt habe ich das das erste Mal im vorigen Jahr.“ 2018 wurde der niedrigste Wert am 21. August gemessen, als die Durchlaufstärke nur bei 2,3 Kubikmeter pro Sekunde lag. Den Rekord beim Neiße-Niedrigwasser in Görlitz hält der 24. August 1963, als nur 1,25 Kubikmeter Wasser pro Sekunde die Neiße hinab flossen.
Quelle: saechsische.de / Görlitz