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Gesunde Zukunft | NEWS

06.02.14 // Wir müssen uns überall auf den Wolf einstellen

veröffentlicht am: 06-02-2014
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„Wir müssen uns überall auf den Wolf einstellen“

Vanessa Ludwig vom Kontaktbüro Wolfsregion Lausitz zur Ausbreitung des Wolfes – und die Folgen von Verkehrsunfällen bis Nutztierrissen.


Ein Wolf ist Dienstagabend nahe Tauer bei Peitz (Spree-Neiße) mit einem Pkw kollidiert. Wie die Polizei bestätigte, ist dabei das Tier an seinen Verletzungen gestorben. Die Insassen des Volvo blieben unverletzt. Zu welchem Wolfsrudel das Tier gehörte, wird noch geprüft. Fakt ist aber: Die Lausitzer Wölfe wandern – und in jüngerer Vergangenheit vor allem in Richtung Norden und Westen. Dabei kommt es zu Unfällen wie am Dienstagabend und zu Begegnungen von Wolf und Mensch. Im Meißener Elbland etwa vermehrt. Das Kontaktbüro Wolfsregion Lausitz, mit Sitz in Rietschen, versucht mit Aufklärung dagegen zu halten. Die SZ hat mit Projektleiterin und Biologin Vanessa Ludwig gesprochen.

Frau Ludwig, der Wolf hat Hochkonjunktur in den Medien. Mit welchen Gefühlen schlagen Sie die Zeitung auf?

Ich verfolge natürlich die Diskussion und die Fragen und Ängste in der Bevölkerung. In den letzten Wochen ist schon einiges aufgebauscht worden. Dadurch wird zusätzlich Verunsicherung geschürt.

Was ärgert Sie besonders?

Dass irgendwelche Gerüchte und Vermutungen oft gleich als Fakt dargestellt werden, ohne die Ergebnisse von Untersuchungen abzuwarten. Das ist nicht sehr behilflich in der sachlichen Diskussion. Ein Beispiel ist der Fall eines getöteten Hundes in einem Tierheim in Hoyerswerda. Erst wurde die Schuld auf den Wolf geschoben, dann stellte sich heraus, dass es eine Hündin aus dem Nachbarzwinger war.

In Meißen gibt es seit Dezember viele Spekulationen. Anlass war ein Unfall, bei dem auf der Bundesstraße 6 sieben Pferde getötet wurden. Wie weit ist der Wolf schon ins Elbland vorgedrungen?

Das westlichste Vorkommen ist in der Königsbrücker Heide, die ja teilweise zum Landkreis Meißen gehört. Weiter westlich gibt es bisher keine Nachweise, dass Wölfe dauerhaft etabliert sind. Auf der Durchreise, auf der Suche nach Territorien, sind sie auf jeden Fall auch schon in anderen Teilen Sachsens vorbeigekommen, vielleicht sind sie sogar schon irgendwo sesshaft. Aber das muss erst nachgewiesen werden.

Wie wahrscheinlich ist es, dass der Wolf sich im Elbland ansiedelt?

Wir können keine Vorhersagen treffen, aber theoretisch ist es auf jeden Fall möglich. Je westlicher es nach Sachsen hinein geht, desto höher ist die Besiedlungsdichte. Es gibt weniger Gebiete, die ideal sind für den Wolf. Allerdings ist er sehr anpassungsfähig und kann auch dort einen Rückzugsraum finden. Wir müssen uns überall darauf einstellen, dass mal ein Wolf vorbeikommt – und vielleicht auch sesshaft wird.

Was würde es für die Menschen bedeuten, wenn der Wolf in einem so dicht besiedelten Gebiet heimisch wird?

Für die Bevölkerung ist das erst einmal keine große Veränderung. Man kann wie gewohnt spazieren gehen. Es werden natürlich Fragen und Ängste auftauchen. Tierhalter müssen sich darauf einstellen, dass sie ihre Tiere ausreichend schützen.

Eine Leserin hat berichtet, sie habe den Wolf schon zweimal im Meißner Ortsteil Zaschendorf gesehen – also quasi mitten in der Stadt. Ist das möglich?

Eigentlich meiden Wölfe Menschen und Gebiete, wo viel Aktivität ist. Aber theoretisch ist das möglich. Wölfe kommen schon mal an Ortschaften vorbei, meistens in der Dunkelheit oder Dämmerung.

Auch auf der linken Elbseite bei Nossen werden immer wieder Wölfe gesichtet.

Sichtungen sind wichtige Hinweise, aber noch keine konkreten Nachweise. Das sind erst richtig dokumentierte Spuren oder Kot. Eine Genetikprobe ist der beste Nachweis. Wenn man einzelne Nachweise hat, gilt es in den darauffolgenden Monaten zu schauen: Gibt es Anhaltspunkte, dass der Wolf sich dort länger aufhält, vielleicht sogar ein Revier etabliert hat? Das lässt sich etwa mit Hilfe von Fotofallen feststellen.

Zurück zu dem Unfall auf der Bundesstraße 6: Ein Gutachter will an der Pferdekoppel Wolfsspuren ausgemacht haben. Wie realistisch ist das, wenn er Tage nach dem Unfall vor Ort war?

Einen einzelnen Abdruck kann man vielleicht finden. Wenn das Wetter sich gehalten hat, kann man einen Pfotenabdruck durchaus mehrere Tage noch sehen. Doch den Spurenverlauf festzustellen, um überhaupt zwischen Wolf und Hund unterscheiden zu können, ist ohne Sandboden oder frischen Schnee schwierig. Das Gutachten haben wir bisher nie gesehen.

Wie reagieren Pferde auf einen Wolf – und umgekehrt?

Das ist von Tier zu Tier unterschiedlich. Wir haben aber bisher im Wolfsgebiet nie die Erfahrung gemacht, dass Pferde durch Wölfe aufgeregt wurden oder ausgebrochen sind. In Sachsen gab es bisher den Fall eines getöteten Kalbes, bei dem der Wolf als Verursacher nicht ausgeschlossen werden konnte – aber keinen eindeutigen Fall von getöteten größeren Tieren.

Wie viele Nutztiere sind in den vergangenen Jahren gerissen worden?

Im vergangenen Jahr gab es 21 Fälle mit 56 getöteten oder verletzten Tieren, bei denen der Wolf als Verursacher bestätigt oder nicht ausgeschlossen werden konnte. In zwei Drittel solcher Fälle sind die Tiere nicht ausreichend geschützt. 2012 waren es ebenfalls 21 Fälle mit 52 Tieren. Im Jahr davor gab es die bisher höchste Zahl von Übergriffen: 37 Fälle mit 88 Tieren. 2010 waren es nur elf Fälle und 16 Tiere.

Wie sehen die Zahlen im Landkreis Meißen aus?

Das Rudel in der Königsbrücker Heide gibt es erst seit 2011. In dem Jahr gab es einige Risse im Landkreis Meißen. 2012 gab es keinen Fall, 2013 einen.

Wie wird verfahren, wenn ein Wolf sich als aggressiv herausstellt?

Wenn ein Wolf ein auffälliges Verhalten zeigt, wird erst einmal versucht, ihn umzuerziehen. Wenn er etwa ständig in der Nähe einer Ortschaft gesehen wird, auch am Tag, würde man ihn durch Gummigeschosse fernhalten. Wenn sich das Verhalten nicht ändert und der Wolf auch Menschen bedroht, wird er aus der Natur entfernt, also geschossen. Die Sicherheit der Menschen steht natürlich an erster Stelle.

Nach dreieinhalb Jahren Arbeit im Kontaktbüro Wolfsregion Lausitz – überrascht Sie der Wolf noch immer?

Ständig. Es ist faszinierend zu sehen, wie der Wolf in unserer Kulturlandschaft zurechtkommt. Über die Besenderung sehen wir zum Beispiel, wie Wölfe über Autobahnen laufen. Anders als die Menschen oft glauben, braucht er keine Wildnis.

 

Das Gespräch führte Anna Hoben.

Quelle: sz-online.de

Zuletzt geändert am: 06-02-2014 um 11:25

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