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Gesunde Zukunft | NEWS

21.04.18|Glyphosat beschäftigt die Görlitzer

veröffentlicht am: 21-04-2018
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Glyphosat beschäftigt die Görlitzer

Lassen sich die kommunalen Flächen ohne das Gift bewirtschaften? Mehr Kosten oder mehr Wildwuchs wären der Preis.

Von Ines Eifler

Könnten die Görlitzer damit leben, wenn auf den Fußwegen im Stadtpark, auf dem Wilhelmsplatz, in der Friedenshöhe, im Ölberggarten oder in der Ochsenbastei etwas mehr Gras wüchse? Wenn der Löwenzahn deutlicher zum Stadtbild gehörte? Oder wenn auf dem Postplatz statt Stiefmütterchen Wiesenblumen und Wildkräuter blühten, mehr Schmetterlinge flatterten und Bienen summten?

Ein großer Teil der Bürger wäre vielleicht dafür, wenn stattdessen auf den Einsatz des umstrittenen Pestizids Glyphosat in den städtischen Grünanlagen verzichtet würde. Denn hinter den über 50 Zuhörern, die am Donnerstagabend zur Diskussion „Pestizidfreie Kommune“ ins Café Kugel kamen, stehen sicherlich noch mehr Menschen, die das Thema Glyphosat umtreibt. Weil sie fürchten, dass die WHO recht hat, wenn sie das Mittel als krebserregend einstuft. Weil sie möchten, dass die Pflanzen- und Insektenvielfalt erhalten bleibt. Und weil sie sich wünschen, dass wieder mehr Vögel singen. Mehr Wildwuchs im Stadtbild oder höhere Personalkosten für Gärtner wären allerdings der Preis für weniger Gift. Das ergab die Diskussion, zu der die Görlitzer Ortsgruppe des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) vorgestern im Rahmen der aktuellen deutschlandweiten BUND-Kampagne „Pestizidfreie Kommunen“ einlud.

Die Linken und die Grünen hatten das Thema für sich entdeckt und in den Stadtrat eingebracht. Deshalb saß Thorsten Ahrens, Fraktionsvorsitzender der Linken, auch im Café Kugel auf dem Podium und vertrat das Anliegen. Auf 190 städtischen Grünflächen komme Glyphosat zum Einsatz, sagte er. „Also genau dort, wo viele Familien ihre Freizeit verbringen.“ Ein Mittel weiter einzusetzen, das im Verdacht stehe, Krebs zu erregen, sei ein zu hohes Risiko.

Auch Bürgermeister Dr. Michael Wieler sieht das so. „Privat würde ich nie auf die Idee kommen, auf meinem Dreiseitenhof, wo auch Pferde und Hühner leben, Pestizide einzusetzen“, sagte er. Als Vereinsvorsitzender der Bürger für Görlitz würde er sich wünschen, dass die Stadt auf Glyphosat verzichtet, müsse jedoch auch mitüberlegen, ob das so einfach umzusetzen ist. „Denn das Thema ist komplex.“ Als Bürgermeister könne er mit der Stadtverwaltung nur das umsetzen, was der Stadtrat als gewählte Vertretung der Bürger beschließe. Und im Stadtrat sei keineswegs jeder der Meinung, Glyphosat sei schädlich. „Deshalb sind auch Sie gefragt“, sagte er ins Publikum, „überzeugen Sie Ihre Nachbarn, sagen Sie es weiter. Das ist Ökologie!“

Corinna Hölzel, wissenschaftliche Mitarbeiterin beim BUND und zuständig für die Themen Pestizidfreie Kommunen und Bienen, sagte, dass es sehr schwer sei, über die schädlichen Auswirkungen von Glyphosat in der Breite aufzuklären. Der Auffassung der Weltgesundheitsorganisation stehen Studien gegenüber, die das Mittel als unbedenklich erklären. „Aber die Bauernverbände und die chemische Industrie haben im Gegensatz zu uns Naturschützern eine sehr große Lobby“, sagte Corinna Hölzel. Es sei in deren Interesse, Glyphosat als effektives, billiges Mittel gegen Unkraut zu nutzen. Man könne nicht davon ausgehen, dass derlei Studien unabhängig seien.

Weil Glyphosat so effektiv ist, wird es auch in Görlitz eingesetzt. Tatsächlich, sagte Bürgermeister Wieler, gingen die im Rathaus für Grünes Zuständigen bereits sehr verantwortungsvoll mit dem Einsatz von Glyphosat um. 2016 habe die Stadt ausprobiert, wie sich eine Senkung der Giftmenge auswirken würde. Im Vergleich zu sonst 50 Litern kamen nur 29 Liter zum Einsatz. Ergebnis: Soll die Stadt bei einem Verzicht auf Glyphosat genauso bepflanzt werden und sollen die Wege so unkrautfrei sein wie bisher, müssten 6,7 zusätzliche Stellen geschaffen werden. Das würde 200 000 Euro Mehrkosten bedeuten. Wieler sagte, sobald es im Stadtrat darum gehe, mehr Geld für Unkrautjäten auszugeben, würden zugleich viele andere Wünsche laut, wie man dieses Geld besser verwenden könne. „Deshalb muss diskutiert werden, wie viel Anspruch die Görlitzer an ihre Grünflächen haben“, sagte Wieler. Im Moment komme es vor, dass sich Leute beschweren, wenn mal ein Grashalm auf einem Weg sprieße, und fragen, was mit ihren Steuergeldern eigentlich gemacht werde. „Dennoch bin ich mir sicher, dass ein Glyphosatverbot in Görlitz kommen wird. Aber es wird ein langer Prozess sein, es umzusetzen.“

Thomas Tzornack (CDU), Bürgermeister von Nebelschütz bei Kamenz, bestätigte, dass dies nur mit Auseinandersetzungen möglich sei. Seine Gemeinde verzichte aber inzwischen auf Glyphosat. Außer auf dem Sportplatz. „Auf den Wegen lassen wir das Gras wachsen, wo es nicht weggetreten wird“, sagte er, „denn dann ist wohl der Weg zu breit.“ Die aufwendigere Pflege von Grünanlagen würden in Nebelschütz auch Langzeitarbeitslose übernehmen. Und die Rechnung gehe nicht auf, höheren Personalkosten allein die Ersparnis durch Glyphosat gegenüberzustellen. Man müsse mit einberechnen, was es kostet, geschädigte Umwelt wiederherzustellen.

Quelle: sz-online.de/Görlitz

Zuletzt geändert am: 21-04-2018 um 23:57

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